Mutiger Verkünder der Wahrheit Studierende der Folkwang Universität der Künste, Essen

Mutiger Verkünder der Wahrheit Studierende der Folkwang Universität der Künste, Essen

Es stellen aus: Maximiliane Barth, Niklas Baumberger, Fabian Heitzhausen, Christian Kasners, Dominik Królikowski, Tino Kukulies, David Lips, Christian Lübbert, Elisabeth Neudörfl, Phung-Tien Phan, Pio Rahner, Lara Steinemann und Niklas Taleb.

Mutiger Verkünder der Wahrheit. Ein Ausstellungsexperiment.

Mutiger Verkünder der Wahrheit zeigt nicht Arbeiten, die in dem Kurs Fotografie nach Brecht entstehen. Im Kurs geht es darum, Brechts Methoden zu überprüfen, auszuprobieren und eventuell auch zu verwerfen. Die Arbeiten müssen dabei gar keinen direkten Bezug zu Brecht aufweisen. Brechts Methoden spielen auch hier eine Rolle: der Verfremdungseffekt, die Konstruktion als Gegensatz zur Abbildung, die Kritik der Einfühlung, die Forderung nach der rationalen Analyse und die Vorbehalte gegenüber der Intuition. Nicht zuletzt geht es hier wie dort darum, “Realismus” nicht als einen Stil, sondern als Haltung gegenüber der Welt zu verstehen und darum, einen aktiven Betrachter und eine aktive Betrachterin zu provozieren.

Mutiger Verkünder der Wahrheit: Brecht selbst soll sichtbar werden. Es geht eher um Skizzen als um Werke, es geht um Versuche und Prozesse. Es sind dies also nicht die “eigentlichen” Arbeiten aus dem Kurs, die hier gezeigt werden, sondern ausdrücklich Annäherungen an oder Umgang mit Brecht, natürlich auch mit seinen eigenen Methoden. Auf jeden Fall versuchen wir, einer grundlegenden Forderung von Brecht nachzukommen: nämlich zu unterhalten und einen vergnüglichen Abend zu verbringen.

Es gibt einen ganz kurzen Text von Brecht mit dem schönen Titel Durch Fotografie keine Einsicht, und das ist für den Kurs Fotografie nach Brecht als Motto nicht so schlecht gewählt. Es dient uns als Erinnerung: Fotografie allein reicht nicht. Für die Ausstellung allerdings ist der Titel dann doch Mutiger Verkünder der Wahrheit geworden, direkt auf Brecht als Person bezogen, vielleicht als Verweis auf etwas, das wir selbst gerne manchmal wären, womit wir aber permanent hadern.

Lara Steinemann zeigt uns als erstes Ergebnis ihrer Recherchen über Brecht eine Deutschlandkarte mit Markierungen für jede Bertolt-Brecht-Straße und jede Bertolt-Brecht-Schule. Sie sind ziemlich gleichmäßig über Ost und West verteilt, vielleicht etwas dichter in den neuen Ländern. Die Wandkarte stammt aus dem Schulunterricht und ist alles andere als eine neutrale Abbildung. Die ideologiebeladene Konstruktion von Landkarten wird hier besonders deutlich. Auch Pio Rahner verweist auf die Schulzeit. Er lässt uns seine Klassenarbeit über Das Leben des Galilei lesen, mit vielen Fehlern und dem nicht ganz ausreichenden Ergebnis 4 Punkte. Wir sehen Brecht durch den Filter der Wahrnehmung eines nicht besonders guten Schülers, inklusive der Lücken und Missverständnisse.

Die Arbeit von Dominik Królikowski ist so konzipiert, dass sie zwar zuerst an der Wand installiert und als Bild wahrnehmbar ist, sich aber im Lauf des Abends in der ganzen Ausstellung verteilt. Er hat aus Porträtfotos von Brecht Masken hergestellt, mit Hilfe derer sich die Besucher und Besucherinnen selbst in Brecht verwandeln können und die Arbeit in Bewegung setzen.

Fabian Heitzhausen und Maximilian Schmötzer haben eine Sequenz aus 2001 – Odyssee im Weltraum neu synchronisiert und in ein Gesprächt über die Frage verwandelt, ob ein Bett, das man als Bett benutzen könnte, trotzdem Kunst sein kann. Dabei erklärt der Computer den beiden Besatzungsmitgliederndie Feinheiten der Unterscheidung zwischen Kunst und Nutzwert. Maximiliane Barth und David Lips lesen Brechts Text Über sozialistischen Realismus. Sie sprechen allerdings rückwärts, nehmen sich auf Video auf und lassen das Ganze wiederum rückwärts ablaufen. Die einsetzende Verfremdung wird hier noch mehr als bei Heitzhausen/Schmötzer mit technischen Mitteln erzeugt. Phung-Tien Phan und Niklas Taleb bieten uns einen kleinen Exkurs in die Filmgeschichte und zeigen auf neun Monitoren Filmszenen – von Pierrot le fou (Elf Uhr nachts, 1965, Regie: Jean-Luc Godard) über Annie Hall (Der Stadtneurotiker, 1977, Regie: Woody Allen), Trading Places (Die Glücksritter, 1983, Regie: John Landis) und Good Fellas (Good Fellas, 1990, Regie: Martin Scorsese) bis hin zu Fernsehserien wie Sex and the City (1. Staffel, 1998) und Scrubs (ca. 2001) – in denen die Schauspieler die vierte Wand zwischen „Bühne“ und Zuschauerraum und damit eine filmische Konvention durchbrechen und direkt zum Zuschauer und zur Zuschauerin sprechen.

Die Videoarbeit von Christian Lübbert ist wahrscheinlich die experimentellste und mutigste Arbeit des Abends. Er nimmt Besucher und Besucherinnen der Ausstellung auf, wie sie Brecht-Texte sprechen, schneidet es und projiziert es am selben Abend noch mit zwei Beamern lebensgroß an die Galeriewand. Es entsteht ein Dialog zwischen zwei Personen in der Projektion, wobei sich unter Umständen gleichzeitig die selben Personen selbst in der Galerie befinden.

Eine Dokumentation seiner Recherchen zeigt uns Tino Kukulies in einer Zusammenstellung von Film- und Tonaufnahmen, von Gedichten, Filmen und einem Hörspiel. Wir hören Brechts Stimme im Original und durch andere hindurch. Auch Christian Kasners arbeitet mit Originalaufnahmen von Brecht und dem Soziologen Jean Ziegler. Er greift den verkündenden Sprachduktus auf und unterlegt sie mit einem Techno-Rhythmus. Aus der Distanz hört man nur den Rhythmus wie einen Herzschlag, davon angezogen nähert man sich und kann dann auch die Worte verstehen.

 

Niklas Baumberger konfrontiert uns auch beim Bier kaufen an der Bar mit Zitaten Brechts als Diaprojektion. Dies kann auch als Hinweis gelesen werden auf den Anspruch Brechts an seine eigenen Texte, immer zitierfähig zu sein. Inhaltlich verweisen die Zitate auf Essen und Trinken.

Die Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe der Werke Brechts schließlich, die Standard-Werksausgabe als Gemeinschaftsprojekt des Ost-Verlags Aufbau und des West-Verlags Suhrkamp in den 1980er Jahren begonnen und im Jahr 2000 abgeschlossen, wurde aufrecht stehend wie im Bücherregal fotografiert, Rücken an Rücken, auf zwei Meter fünfzig Höhe vergrößert, wie einfache Schwarzweißfotokopien auf DIN A3-Papier ausgegeben und zusammengeklebt, ausgeschnitten im Flur an die Wand gebracht. Diese Arbeit von Elisabeth Neudörfl trägt den Titel Durch Fotokopie keine Einsicht.

Diese Überdosis Brecht ist vielleicht nicht schlecht ist, denn so können wir uns schon morgen wieder der Gesellschaft oder der Politik oder der Geschichte zuwenden. Wir können dabei Brechts Methoden überprüfen, aber wir müssen uns um seine Person vielleicht gar nicht mehr so sehr kümmern.

Eröffnung:
(Do) 15.12.2011, 20:00
Atelier & Galerie 52

Ausstellung:
16.12.2011 – 18.12.2011

Öffnungszeiten:
freitags bis sonntags von 15 – 18 Uhr